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«Der Siedlungsraum hat grosses Potenzial für mehr Biodiversität»

Die Biodiversitätsexpertin Maria Sautter von der Beratungsfirma intep erklärt im Interview, wie sich auf bebauten Flächen die Vielfalt des pflanzlichen und tierischen Lebens fördern lässt und welche Zielkonflikte zu lösen sind.
Die Biologin Maria Sautter ist bei Intep als Senior Advisor im Bereich Umwelt- und Ressourcenmanagement tätig. (Foto: Intep)
Maria Sautter – Biodiversitätsexpertin und Senior Advisor bei intep.
Frau Sautter, was genau versteht man unter dem Begriff «Biodiversität»?

Er bezeichnet die biologische Vielfalt, also die Vielfalt des Lebens. Dazu zählen die Artenvielfalt mit Tieren, Pflanzen und Pilzen, aber auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten mit Sorten und Rassen. Auch die Vielfalt der Lebensräume oder Ökosysteme gehört dazu, beispielsweise Wälder, Wiesen und Gewässer.

Wer an Biodiversität denkt, hat wahrscheinlich spontan Bilder von ebendiesen Lebensräumen im Kopf. Reichen sie heute noch aus, um die Biodiversität zu erhalten?

Leider nur teilweise. Landwirtschaftlich genutzte Wiesen und Felder, wie wir sie in der Schweiz kennen, sind oft strukturarm und somit nur für wenige Arten nutzbar. Problematisch für die Biodiversität ist zudem der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Wertvoll wären nährstoffarme und strukturreiche Wiesen und Felder mit Hecken, Hochstammbäumen oder Trockenmauern, doch davon gibt es flächenmässig nicht mehr viele. Wälder haben eine grosse Bedeutung für die Biodiversität, stehen aber ebenfalls unter Druck, denn Holznutzung, Tourismus- und Freizeitangebote im Wald nehmen zu. Hier sind Schutzmassnahmen und eine nachhaltige Forstwirtschaft essenziell, um wertvolle Lebensräume zu erhalten.

Immer mehr Fläche in der Schweiz ist überbaut. Wie lässt sich Biodiversität im Siedlungsraum fördern?

Dank abwechslungsreichen Strukturen und unterschiedlichen klimatischen Bedingungen hat der Siedlungsraum ein grosses Potenzial für mehr Biodiversität. Durch naturnahe Grünflächen kann er Lebensräume und Verbindungswege für diverse Arten bieten. Gleichzeitig ergeben sich weitere Vorteile: Mehr Grün in der Stadt verbessert die Luftqualität und reduziert den Lärm sowie die Hitze, was die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner steigert.

Was sind die wichtigsten Ansätze zur Förderung der Biodiversität in bebauten Gebieten?

Sehr wichtige Elemente im Siedlungsraum sind Bäume: Sie dienen als Rückzugsorte, Nistplätze und Nahrung für Vögel, Kleinsäuger und Insekten. Der Wert eines Baums für die Biodiversität und für die Hitzeminderung steigt mit dem Alter. Es ist deshalb wichtig, dass ein gesunder Baumbestand lange erhalten bleibt.

Zum Schutz der Tierwelt sollte die Lichtverschmutzung und der Einbau von grossflächigem, spiegelndem Glas reduziert werden. Licht und Glas wirken als Fallen und können, wenn nicht richtig eingesetzt, zu tödlichen Unfällen bei Vögeln, Fledermäusen und Insekten führen. Darum sind Schutzmassnamen wie wirksame Vogelschutzmarkierungen immer zusammen mit Fördermassnahmen wie einer Fassadenbegrünung zu planen.

Jede Grünfläche ist ein Mehrwert für die Biodiversität, selbst Kleinflächen wie Strassenränder und Baumscheiben. Um die lokale Artenvielfalt gezielt zu fördern, sollten mehrheitlich einheimische Pflanzen für die Begrünung verwendet werden. Dies gilt auch für Dach- und Fassadenbegrünungen, die zusätzliche Lebensräume in dicht bebauten Siedlungsräume bieten.

Für welche Pflanzen und Tiere ist es schwierig, in bebauten Gebieten ein geeignetes Habitat bereitzustellen?

Die Verdichtung der Siedlungen und die starke Versiegelung des Bodens erschweren es, grosse und zusammenhängende Lebensräume zu schaffen. Zudem sind städtische Umgebungen oft durch menschliche Aktivitäten belastet, was empfindliche Arten abschreckt. Darum ist der Siedlungsraum für grosse Säugetiere und spezialisierte Vogelarten, die weite, ungestörte Flächen benötigen, nicht geeignet. Auch feuchteliebende Pflanzen und Tiere lassen sich nur bedingt fördern, denn Habitate wie Teiche und Sümpfe brauchen geeignete klimatische Bedingungen, um langfristig erhalten zu bleiben. In Städten ist das oft nicht der Fall.

Was müssen Besteller und Fachplanerinnen wissen, wenn sie Biodiversität in ihr Bauprojekt integrieren möchten? Wie gehen sie am besten vor?

Es ist wichtig, das Thema schon früh im Bauprozess einzubeziehen – am besten schon bei der strategischen Planung. Lässt man durch eine Fachperson den Standort genau analysieren, kann diese die lokalen Potenziale ermitteln und spezifische Ziele für die Biodiversität entwickeln. Es bietet sich an, auf dieser Basis bereits in der Vorplanung ein Grobkonzept der Aussenräume zu erstellen, in dem die Position und Art der Grünflächen sowie Schutzmassnahmen wie der Baumschutz festgelegt werden. In den späteren Planungsphasen kann man das Konzept verfeinern, zum Beispiel mit Pflanzenlisten und Kleinstrukturen wie Nisthilfen. Ebenfalls wichtig: Die Anforderungen an die Pflege sind noch während der Bauphase zu definieren, denn nur durch eine fachgerechte Pflege kann man die Biodiversität langfristig fördern.

Gibt es geeignete Hilfsmittel und Richtlinien für die Planung von Biodiversitäts-Massnahmen?

Wichtige Hilfsmittel im Baubereich sind die SIA-Normen 312 «Begrünung von Dächern» und 491 «Vermeidung unnötiger Lichtemissionen im Aussenraum». Zum Thema Vogelschutz kann ich auch das Merkblatt «Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht» der Vogelwarte Sempach empfehlen. Zudem haben immer mehr Nachhaltigkeitsstandards Biodiversitätskriterien definiert und bieten entsprechende Richtlinien für Planung und Zertifizierung. In der Schweiz haben der SNBS und das DGNB System Schweiz die höchsten Anforderungen an die Biodiversität.

Welche Zielkonflikte können bei der Planung von Biodiversitätsmassnahmen entstehen und wie lassen sie sich lösen?

Biodiversität benötigt Fläche, und diese ist im Siedlungsraum ein kostbares Gut. Dieser Zielkonflikt lässt sich lösen, indem Grünflächen in Bauprojekte integriert werden, etwa durch begrünte Dächer und Fassaden, Innenhöfe und Gemeinschaftsgärten. Um Konflikte zwischen Menschen und Tieren zu vermeiden, lassen sich Grünflächen für unterschiedliche Nutzungen schaffen und kennzeichnen.

Ein anderer möglicher Zielkonflikt kann sich durch die lokale Produktion erneuerbarer Energie ergeben. Die gute Nachricht: Photovoltaik mit Dach- oder Fassadenbegrünung zu kombinieren, ist technisch möglich und sinnvoll. Die Systeme profitieren bei korrekter Planung sogar voneinander: Der Wirkungsgrad der Solarmodule steigt durch die Verdunstungskühlung der Pflanzen, diese erhalten durch die Module Schatten und gedeihen besser.

Nicolas Worbs
04. Oktober 2024
Senior Advisor

Maria Sautter

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